Die Zeit ist reif für gute Slow Weine

Die älteste Flasche stammt aus dem Jahr 1893, aus einer Zeit also, in der Südtirol noch zum österreichischen Kaiserreich gehörte. In den tief gelegenen Gewölben der Kellerei Terlan in der Nähe von Bozen kann der Wein tatsächlich noch Geschichten erzählen – und oft ist es ja so, dass alte Geschichten die schönsten sind. Bei der Geschichte der Kellerei Terlan muss man allerdings etwas ausholen: Viele Menschen glauben, nur Rotweine würden mit der Zeit an Geschmack gewinnen, Weißweine aber im wahrsten Sinne des Wortes langweiliger werden, je länger man sie lagert. Die Weißweine der Kellerei Terlan, im Etschtal an der Weinstraße gelegen, beweisen jedoch seit Jahrzehnten das Gegenteil und haben sich als Slow-Weine einen Namen gemacht.

Mit Blick in die Zukunft und viel Geduld

In den fünfziger Jahren trafen hervorragende Reben und ein wenig menschliche Sturköpfigkeit aufeinander – man könnte es allerdings auch Weitsicht nennen, denn aus einer Idee wurde ein großartiger Verdienst für die nachfolgende Generation. Sebastian Stocker war 38 Jahre lang Kellermeister in der Kellerei Terlan und über diese Zeit hinweg hütete er ein Geheimnis: Entgegen aller Konvention war er überzeugt, dass es sich lohnt, auch Weißweine über längere Zeit zu lagern, um deren Geschmack zu entfalten. Allerdings stand er mit dieser Meinung zu Beginn ziemlich alleine da. Also erzählte er niemandem davon und „versteckte“ mehrere hundert Flaschen eines Jahrgangs. Als die Zeit im wahrsten Sinne reif war, lud er die besten Freunde zu ersten Verköstigungen ein – alle waren begeistert. Seine Vorgesetzten blieben gegenüber dem „alten“ Wein skeptisch. Aber es stellte sich heraus, dass Stocker mit seiner Idee den Grundstein für den heutigen Ruf der Kellerei Terlan legte, dieser lautet: Zeit. Der Terlaner Wein wird zunächst ein Jahr lang im Fass gereift und dann zehn Jahre in Tanks gehalten. Anschließend muss er noch über ein Jahr lang in der Flasche bleiben, ehe er in den Verkauf kommt. Jedes Jahr wird aufs Neue entschieden, welche Rebe dieses besondere Verfahren verdient hat. Die besten Weine, die das Haus Terlan verlassen, sind also stets älter als zwölf Jahre. Und nicht nur die Kunden danken es: Von „Kultwein“ ist in den einschlägigen Magazinen des Öfteren die Rede. Einer der beliebtesten ist heute der Weißburgunder von 1979.

Neue Kellermeister kehren besser

Mittlerweile hat Rudi Kofler die Geschicke der Kellerei übernommen. Das bedeutet also, dass er sich mit dem Wein von 1995 auseinander setzen muss – allerdings nicht besonders lange. Denn es ist fast schon selbstverständlich, dass die speziell gelagerten „Slow-Weine“ bei Terlan auch im gleichen Jahr ausverkauft sind. Doch natürlich hat Kofler in all der Langsamkeit viel zu tun: Vom Anbau bis hin zur Auswahl der edelsten Weine aus zwölf verschiedenen Rebsorten muss er darauf achten, dass nicht nur die Primär-Aromen zur Geltung kommen. Denn gerade Terlaner Weine zeichnen sich dadurch aus, dass ihre sekundären und tertiären Aromen zum vollen Geschmack beitragen. So liegt ein Weißwein auch weiterhin jahrelang in der Hefe, ehe er verkauft wird. Die Arbeit lohnt sich: Alljährlich erhält ein Terlaner die begehrten „Drei Gläser“ des „Gambero Rosso“.

Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass von den besten Jahrgängen immer noch genug übrig ist. Teilweise lagern jahrzehntealte Weißweine immer noch in den Tanks. Und obwohl die Kellerei allen Grund hätte, sich zu vergrößern, wird weiterhin auf Qualität und Tradition anstatt auf Quantität gesetzt. 1893 begann die Kellerei mit 24 Weinbauern, heute sind es gut 100 Mitglieder mit einer jährlichen Produktion von insgesamt 11.000 Hektolitern – immer noch sehr überschaubar also. Der Export wird allerdings ausgebaut: Neuerdings versucht Terlan, den chinesischen Markt zu erobern. Womöglich eine weise Wahl, denn dort ist man bekanntlich ebenfalls stolz darauf, auf Tradition zurückzublicken.